Gespräch über Beteiligung von jungen Menschen

Carsten Korinth und Silke Leitenberger

Im Rahmen des Jahresberichtes für die Mitgliederversammlung des CVJM Deutschland 2023 haben sich Silke Leitenberger und Carsten Korinth Gedanken gemacht, wie eine Beteiligung von jungen Menschen als Entwickler/-innen, Gestalter/-innen in der praktischen Kinder- und Jugendarbeit sowie in Organisationsgremien aussehen kann.

Silke Leitenberger
Silke Leitenberger
Carsten Korinth
Carsten Korinth

Silke Leitenberger

Silke Leitenberger ist Referentin für internationale Freiwilligendienste beim CVJM Deutschland. Sie hat über die letzten 7 Jahre, zusammen mit den Mitgliedsverbänden und ehemaligen Freiwilligen die Rückkehrenden-Arbeit im internationalen Freiwilligendienst aufgebaut. Dabei war das Motto von Anfang an „Von jungen Menschen für junge Menschen“. Ihr ist wichtig, ehemaligen Freiwilligen den Raum zu geben und sie darin zu unterstützen, ihre Anliegen austauschen zu können, gemeinsame Projekte zu träumen, zu entwickeln und umzusetzen.

Seit 2015 findet zweimal jährlich das Seminarteamertreffen (STT) statt. Zu den Wochenenden sind alle ehemaligen internationalen CVJM-Freiwilligen, egal wann und wo sie diesen absolviert haben, eingeladen. Die Idee ist, dass sie ihre eigenen Erfahrungen mit den Freiwilligendienst-Seminaren mitbringen und diese in die Weiterentwicklung der Seminare investieren. Dabei werden sie auch geschult, selbst Teamer/-innen bei zukünftigen Seminaren zu sein.

Carsten Korinth

Carsten Korinth ist Referent für Jugendpolitik und Grundsatzfragen beim CVJM Deutschland. Er entwickelt mit jungen Leute regelmäßig neue Formate der Begegnung und des Austausches zwischen politischen Akteuren und jungen Menschen. Für ihn ist wichtig, dass die Konzepte maßgeblich von diesen jungen Menschen entwickelt und umgesetzt werden.

Im Projekt „Aufgetischt“ kocht ein junges Moderator/-innenteam mit Bundestagsabgeordneten, weil die besten Gespräche ja bekanntlich in einer Küche stattfinden. Das Format wird über Youtube live gestreamt. Alle jungen Zuschauer/-innen können über die Diskussionsplattform Slido direkt am Geschehen in der Küche in Berlin an Onlineabstimmungen teilnehmen oder indem sie Fragen an die politischen Gäste stellen. Das Format wurde maßgeblich von jungen Menschen entwickelt. Mehr unter www.cvjm.de/aufgetischt

Carsten Korinth (CK): Silke, die Seminare im Bereich der Internationalen Freiwilligendienste im CVJM verantwortest du gemeinsam mit den „Seminarteamer/-innen“, vorbereitet bei den Seminarteamertreffen. Wer sind diese Seminarteamer/-innen? Waren diese schon immer in die Gestaltung der Seminare mit eingebunden?

Silke Leitenberger (SL): Ja, ich verantworte, entwickle und führe die Seminare mit den Seminarteamer/-innen durch, aber auch Hauptamtliche aus den Mitgliedsverbänden sind mit dabei. Die Seminarteamer/-innen sind ehemalige Freiwillige, die einen Auslandsdienst mit dem CVJM gemacht haben und daher eigene Erfahrungen mit unseren Freiwilligendienst-Seminaren haben. Dabei spielt es keine Rolle, wo und wann sie ihren Dienst geleistet haben. Wichtig ist, dass sie selbst motiviert sind, Dinge ändern zu wollen und sich dafür einzubringen.

Die Seminare sind schon immer so angelegt, dass ehemalige Freiwillige als Teamer/-innen mitarbeiten und ihre Erfahrungen aus dem Auslandsdienst einbringen. Das Plus in der Beteiligung war dann der Schritt, sie auch in die Planung, Konzipierung und Weiterentwicklung mit einzubeziehen.

CK: Das war eine sehr bewusste Entscheidung, die ehemalige Freiwilligen in Entwicklung und Ausgestaltung einzubeziehen, und nicht nur ein Zufallsprodukt?

SL: Das war eine bewusste Entscheidung und hatte zwei Gründe.

Zum einen ist es meine Überzeugung, dass die ehemaligen Teilnehmenden der Seminare als Betroffene am besten beurteilen können, ob das, was sie in den Seminaren erlebt haben, das ist, was sie gebraucht haben. Hat ihnen das geholfen oder wo müsste sich etwas ändern, damit die nächsten Freiwilligen nicht auch an der gleichen Stelle in eine Falle tappen. Sie sind also die Experten dafür, was die aktuellen Freiwilligen brauchen, was sinnvoll ist und das sollten wir nutzen.

Und zum anderen das Anliegen, den jungen Menschen, mit denen wir schon ein Stück Weg gegangen sind, auch weitere Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten, auch auf der nationalen Ebene, zu geben. Und damit auch diejenigen zu halten, die sich nicht vor Ort oder regional im CVJM verorten konnen.

Gegenfrage: Wie war das bei deinem Projekt "Aufgetischt“? War das eine bewusste Entscheidung?

CK: Eigentlich war es Zufall, zumindest so nicht geplant.

Zufällig war es deshalb, weil wir ursprünglich mit jungen Menschen ein jugendpolitisches Talkformat für den Ökumenischen Kirchentag 2021 vorbereitet haben, bei dem junge Menschen als Moderator/-innen Gäste aus der Politik vor einem großen jugendlichen Publikum interviewen sollten. Und dann kam Corona – der Kirchentag wurde abgesagt.

Was macht man jetzt mit einer Truppe junger Menschen, die hoch motiviert und nun total enttäuscht waren?

Parallel gab es schon vor Corona die vage Idee, man müsste solche Begegnungs- und Gesprächsformate zwischen Politik und jungen Menschen als interaktiven Online-Stream veranstalten. Wie das genau aussehen sollte, wusste ich ja auch nicht. In meinem Kopf war das (aus Sicht von jungen Menschen) wahrscheinlich eher ein ziemlich öder Sofatalk à la Markus Lanz, nur mit Online-Beteiligung der Zuschauenden. Aber auf jeden Fall ging es bei dieser ersten Idee nicht ums Kochen. Klar war: Das entwickele ich jetzt nicht für mich am Schreibtisch und lasse junge Menschen maximal mitmachen, sondern von diesem Punkt an komplett mit ihnen zusammen. Und wenn sie nicht wollen, dann wird es auch nichts.

Diese vage Idee haben wir dann in dieser geplatzten Kirchentagsvorbereitung mal angesprochen. Wir wollten mit diesen jungen Menschen unbedingt weitermachen. Aus Frust wurde Begeisterung – ohne genau zu wissen, was wir da nun eigentlich machen wollen.

SL: Du hast gesagt, Kochen war nicht deine Idee. Wie kam es dann dazu?

CK: Zum Kochen kam es, weil wir in der Runde mit diesen jungen Menschen alle möglichen Ideen gebrainstormt haben, was die Ziele sein können, wie ein Rahmen für das Format aussehen kann. Was ist gut, was nicht? Es entstanden erste Bilder, die aber noch sehr unkonkret und verwaschen waren.

Und dann haben wir die Gruppe geteilt. In Zweier-Gruppen haben die jungen Leute in einem Monat aus unseren ersten Brainstorming-Ergebnissen ein möglichst konkretes Veranstaltungskonzept vom Setting über Inhalte bis hin zu einem möglichen Ablauf erarbeitet.

Als wir uns nach einem Monat wieder getroffen haben, wurden die Ideen vorgestellt. Bei einer Vorstellung fiel der Satz: "Die besten Ideen finden in einer WG-Küche statt". Und plötzlich hatten wir alle ein sehr konkretes Bild vor Augen. Damit stand fest: Wir kochen!

Wir hatten zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie das funktionieren soll, wann wir das umgesetzt bekommen, wie wir das finanzieren ... aber das hat niemanden in der Runde aufgehalten, an dieser Idee jetzt weiterzuarbeiten. Diese Idee hatte alle gepackt.

Also sind wir gemeinsam losgezogen, um mit externer Hilfe unsere Ahnungslosigkeit zu beseitigen.

Wir haben uns immer wieder Resonanz von außen eingeholt. Die Entscheidungen für einzelne Konzeptbausteine hat dann immer das junge Team getroffen.

Und das Erstaunliche war, dass sie trotz der langen Entwicklungsdauer von fast einem Jahr alle bis zur ersten Umsetzung dabeigeblieben sind.

SL: Und ihr habt das nur online entwickelt?

CK: Nicht ganz. Wir mussten alle theoretischen Idee ja auch ausprobieren.

Wir haben eine Küche im Jugendzentrum des CVJM Schönefeld gefunden. Dort gab es auch Menschen im CVJM, die uns das technisch und filmisch umsetzen konnten – immer nach den Vorstellungen des Teams.

Und dann haben wir das erdachte Konzept einen ganzen Tag lang in der Küche mit vielen Ideen ausprobiert und getestet. Am Ende musste das Team dann Setting, Abläufe und Inhalte für die erste "echte" Sendung festlegen.

Die letzte Probenaufnahme haben wir den angefragten Politiker/-innen zur Verfügung gestellt. So hatten die eine erste Idee, was da auf sie zukommen würde.

Und wie hat das bei euch mit den Seminarteamern angefangen?

SL: Der Vorteil bei mir war, dass ich schon eine Gruppe von motivierten Menschen hatte. Ich hatte den Pool von jungen Menschen, die einen internationalen Freiwilligendienst gemacht hatten und die sich zum Teil von den Seminaren als Teilnehmende und Mitarbeitende kannten. Das heißt, es gab eine Basis, ein Grundvertrauen untereinander und zu mir hin. Das ist ein großer Vorteil. Aber den hat man vor Ort ja auch, wenn man z. B. eine bestehende Jugendgruppe hat.

CK: Die Beziehung zu den jungen Menschen, die es über den Freiwilligendienst schon gab, war also schon entscheidend?

SL: Ja, das würde ich sagen. Das war und ist die Basis.

Außerdem ist es für die jungen Menschen wichtig, mitwirken zu können. Also die Aussicht, z.B. nach Frusterfahrungen Seminarinhalte konkret ergänzen oder verändern zu können. Oder auch „Die Seminare waren so gut. Da will ich auch dabei sein und irgendwie meinen Teil beitragen.“

Wichtig dafür ist es, den Raum zu schaffen. Wir können uns treffen, mit Gleichgesinnten. Wir haben die Oberthemen "Seminarteamer/-in sein oder werden" / "Seminargestaltung/ Seminarentwicklung". D.h. den Rahmen gab es und der war auch von mir vorgegeben.

Es war die Möglichkeit, Leute einzuladen und zusammenkommen zu lassen, die an den Seminaren Interesse haben. Und das war in den Treffen auch der Schwerpunkt.

Es gab aber auch immer den Raum, sich darüber auszutauschen, welche Themen die jungen Leute in Bezug auf ihren FWD außerdem noch beschäftigen. Das war eine Art Brainstorming und da kamen die verschiedensten Ideen und Themen auf. Und das über mehrere Jahre durchgeführt, motivierte dazu, Projekte zu starten.

Es kamen nicht immer die gleichen Personen, aber manchmal schon auch die gleichen bei mehreren Treffen und immer auch Neue. Diese haben dann wieder mitbekommen, wie es läuft. Und alle zusammen haben dann neue Ideen für die Seminare und darüber hinaus entwickelt. Und aus diesen ganzen Ideen hat sich am Ende die "Rückkehrenden-Arbeit" der internationalen Freiwilligendienste entwickelt.

Das war das Positive, dass diese Treffen nicht nur auf die Seminarthematik beschränkt war, sondern weiter gefasst waren. Die jungen Menschen hatten einen Raum, in dem sie ihre ureigenen Themen einbringen konnten. Und daraus entstand dann z. B. das große Treffen aller ehemaligen CVJM-Auslandsfreiwilligen: das HOMEBASE, das jetzt inzwischen der Ort ist, so ganz freie Themen zu träumen, zu diskutieren und weiterzuentwickeln.

CK: Es kommen ja jedes Jahr bestimmt immer mal neue Leute dazu? Dürfen die dann auch ganz selbstverständlich die Seminare weiterentwickeln, oder haben die „alten Hasen“, die das die letzten Jahre gemacht gaben, etwas dagegen?

SL: Ich habe das noch nie mitbekommen, dass das Thema gewesen wäre, dass etwas, was jemand vor einiger Zeit mal entwickelt hat, nicht nochmal weiterentwickelt werden durfte.

Denn es ist sowieso so, dass die Menschen, die über eine längere Zeit dabeibleiben, sich ja auch weiterentwickeln wollen. Die beschäftigen sich dann weitergehend mit bestimmten Seminarthemen auf einer Meta-Ebene oder mit komplexeren Themenstellungen im Seminar oder eben auch mit Themen außerhalb der Seminare. D.h. es gab – zumindest die ersten Jahre - auch für die älteren Ehemaligen den Raum für weitere Entwicklungsmöglichkeiten entsprechend ihrer Interessen.

Und das ist meine These: Solange es den Raum gibt, dass sich erfahrene Menschen auch noch nach ihren Interessen oder durch einen Rollenwechsel weiterentwickeln können, können andere nachrücken, die dann erstmal wieder die "einfachen, naheliegenden, überschaubaren" Veränderungen gestalten, bis die dann darin auch wieder erfahren sind.

CK: Ja, bei Aufgetischt trifft das auch zu.

Das Team, welches das Format entwickelt hat, tritt jetzt schon nach relativ kurzer Zeit wieder etwas mehr in den Hintergrund. Gründe sind das abgeschlossene Studium, die erste Arbeitsstelle, familiäre Entwicklungen und mehr.

Jetzt stoßen neue junge Leute dazu, die in diesem Jahr beim Kirchentag in Nürnberg ebenfalls einen Livetalk mit politischen Gästen moderiert haben.

Und da war es wichtig, ihnen den Raum zu eröffnen, dass sie jetzt ganz selbstverständlich an einem etablierten Konzept selber weiter "stricken" dürfen und sollen. Nicht nur unter "Erlaubnis" des alten Teams, sondern sogar mit deren maßgeblicher Unterstützung.

Das alte Team hat die neuen jungen Leute gecoacht und auch ermutigt, Neues auszuprobieren, ggf. wieder zu verwerfen und am Ende ein modifiziertes, für sie passendes Setting zu entwickeln.

Das haben wir wieder an einem ganzen Probentag in dieser Küche mit voller Aufnahmetechnik veranstaltet. Und einzelne Mitglieder des bestehenden Teams sind in die Rolle der Coaches oder der Mentoren geschlüpft.

SL: Und dafür muss man eine Atmosphäre schaffen, in der es gilt: "Ich darf hier meins machen. Der andere lässt mich. Der Leiter / die Leiterin lässt mich auch. Hier gibt es einen Raum, in dem ich wirklich meins äußern darf." Und was bzw. wie etwas nachher umgesetzt wird, wird letztlich im Gruppenprozess geklärt.

Beim STT ist es z.B. so, dass für die Tagesordnung des Treffens auf dem Treffen selbst alle Themen gesammelt werden, die jede/-r so mitbringt. Und dann wird priorisiert, welches Thema die meisten interessiert oder wo die Meinung ist, dass das für die nächsten Seminare dringend zu erledigen ist. Und da fallen dann am Ende auch viele Themen unter den Tisch, weil nicht alle Themen an einem Wochenende behandelt werden können. Aber dann ist dann so und kann meist akzeptiert werden, da es transparent und demokratisch entschieden wurde. Die Devise ist: Es passiert, was passiert und die Menschen, die an diesem Treffen dabei sind, bestimmen, was besprochen wird.

Ich sage den Ehemaligen auch: es passiert nur das, was ihr selbst macht. Wenn ihr etwas verändern wollt, dann müsst ihr es machen und auch dafür sorgen, dass es im Seminar umgesetzt wird.

Und wie bei dir befruchtet es sich dann, wenn erfahrenere Ehemalige mit neuen Ehemaligen Dinge zusammen entwickeln. Sie schulen sich dann gegenseitig: was geht oder was ist schon mal fehlgeschlagen? Wichtig ist, dass alle das Gefühl bekommen: ich kann mich hier einbringen und bin beteiligt. Sowas motiviert immer.

CK: Was begrenzt solche Beteiligungsprozesse denn von außen?

Zeitdruck, zu feste Rahmensetzung, fehlende finanzielle Mittel.

Wie gelingt es, dass solche Begrenzungen und Herausforderungen nicht die Beteiligung und deren Entwicklung des Projektes hemmt?

SL: Zeitdruck habe ich trotz STT auch jedes Jahr, nämlich direkt vor den Seminaren, wenn es dann um die reale Vorbereitung des jeweiligen Seminars geht. Denn dann ist die Frage, wie weit die veränderte Einheit auf dem STT entwickelt wurde. Ist sie schon so weit ausgearbeitet, dass sie in neuer Form problemlos übernommen werden kann oder noch nicht? Und gibt es jemanden, der die Einheit auf dem STT mitentwickelt hat und sie beim Seminar auch durchführt?

In der Seminarplanung habe ich dann mehrere Möglichkeiten: entweder ich nutze die alte Einheit, weil die neue eben noch nicht fertig ist. Oder ich frage mit Vorlauf nochmal bei der zuständigen Person nach, ob und wann die Einheit denn verschriftlicht und fürs Seminar nutzbar ist. Oder ich überarbeite die Einheit mit meinem Wissen des Änderungswunsches aus dem STT. Eins davon oder eine Mischung klappt dann meistens ganz gut.

Mit dem STT und den Seminaren habe ich eine andere Herausforderung: die Kommunikation der Menschen vom STT zu dem-/derjenigen, der/die Einheit im Seminar macht. Das sind leider häufig nicht die gleichen Leute, weil viele in dem Sommer dann doch keine Zeit haben, beim Seminar mitzuarbeiten. Und da haben wir noch keinen guten Weg gefunden, das zu überwinden.

CK: Bei der Entwicklung eines anderen politischen Formates, welches ich gerade mit jungen Menschen entwickele, ist es von Vorteil, dass wir bzw. die jungen Menschen keinen Zeitdruck haben.

Da steht von ihnen die Frage im Raum: "Wann müssen wir das denn fertig haben?" Und dann kann ich beruhigend sagen: "Da gibt es keine Vorgaben. Es ist fertig, wenn ihr es fertig gestellt habt."

Auf der anderen Seite ist es wichtig, nicht zu lange in der Entwicklung festzustecken. Das demotiviert. Also ist es hilfreich und wichtig, dass das Team selber eine Deadline setzt und eine Roadmap für die Fertigstellung entwirft – und sich dann auch selber daran hält. Aber der externe Druck ist dann natürlich wesentlich geringer.

Bei den finanziellen Ressourcen ist der erste Schritt zur Umsetzung zumindest gesichert. Eine langfristige Sicherung gibt es hier, je nach Aufwand und Größe, auch nicht.

SL: Wo ich ja sagen würde: "Wo ihr zur Umsetzung das Geld organisiert, da kann das dann auch umgesetzt werden". Wobei das meines Erachtens schon wieder eine weitere Entwicklungsstufe ist. Aber auch hier gibt es Interessierte, die das vielleicht lernen wollen.

CK: Für die Entwicklung eines Projektes unter Beteiligung von jungen Menschen ist es von großem Vorteil, wenn es für die Entwicklung und die erste Umsetzung keine hemmenden Begrenzungen von Zeit, Geld und Handlungsfreiräumen gibt. Ganz ohne Grenzen geht es natürlich auch nicht, die dürfen aber die Entwicklungsmotivation nicht schon im Keim ersticken.

SL: Definitiv. Es muss die Bereitschaft zu einem Grundinvestment von Seiten des Vereins oder Trägers geben.

Was die Zeit angeht, war mein Ansatz: Es passiert, wenn es passiert und/oder wenn jemand einen Faible dafür hat. So ist z. B. unser Ehemaligentreffen HOMEBASE entstanden. Ich hatte für mich den Traum eines Treffens aller ehemaligen Auslandsfreiwilligen des CVJM. Diesen Traum habe ich, wie alle anderen ihre Träume und Wünsche auch, bei einem der STT geäußert. Viele fanden es gut, aber keiner hat sich dem angenommen und ich hatte auch nicht die Kapazität. Es hat dann nochmal 1,5 Jahre gedauert, bis andere Ehemalige die Idee auch gut fanden und weiterverfolgen wollten.

Die zwei Ehemaligen, die das dann angegangen sind, hatten die Kapazität und waren gerade auf der Suche nach einem praktischen Projekt, dass sie als Change Agents, ein Schulungsprogramm des World YMCAs, machen konnten. Da sind dann mehrere Sachen zusammengekommen, so dass etwas entstehen konnte. Ganz oft passiert das eben auch nicht oder es bleibt in den Anfängen oder mittendrin stecken. Hier muss ich als Verantwortliche vertrauen, dass die Vision, die die meisten Leute anstecken kann, sich durchsetzen und auch Durststrecken überleben wird.

CK: Es ist für solche Prozesse ja auch ein Gelingensfaktor, dass es einen Raum zum Scheitern / Raum für Fehler gibt.

SL: Auf jeden Fall. Aber genau dafür gebe ich als Verantwortliche ja den Rahmen vor. Und da muss ich innerhalb dieses Rahmens ein Scheitern mit einplanen. Dann habe ich vielleicht die geplanten Finanzen in den Sand gesetzt; oder einige Menschen und ich haben auch Zeit investiert, die scheinbar umsonst war. Aber dafür bin ich mit Menschen einen Weg gegangen und sie und ich haben etwas dabei gelernt. Die Frage ist, was mehr wert ist.

Und das Scheitern an sich sehe ich eher positiv. Denn es motiviert eigentlich, es nochmal und dann besser zu machen.

CK: Ja, aber es braucht den Mut vor Ort, Zeit, Geld und andere Ressourcen in die Entwicklung eines Projektes zu stecken. Dabei gibt es immer auch die Möglichkeit, dass das Projekt nach dem Ressourceneinsatz scheitert oder aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht fortgeführt werden kann.

Die Entwicklung eines Projektes unter Beteiligung junger Menschen, wo ich bei Start noch nicht weiß, ob das am Ende auch wirklich funktionieren wird, braucht Mut und die Überzeugung, dass die Investition in Beteiligungsprojekte für und mit jungen Menschen immer lohnenswert ist, egal wie es am Ende ausgeht. Die Frage ist, welche Motivation man dann aus solchen Projekten wieder für ein neues ziehen kann.

SL: Da ist mir wichtig, dass das Scheitern reflektiert wird. Warum ist es gescheitert? Oder wie müssen wir das Projekt aufsetzen, damit es funktionieren kann? Oder wo haben wir von vornhinein falsche Annahmen getroffen? Und das mit den Leuten reflektieren, die das Projekt entwickelt haben.

Und wer definiert eigentlich Scheitern? Auch das muss ich ja mit dem Team definieren. Mir in der Entwicklung schon Kriterien überlegen, wann das Projekt als gelungen und wann als gescheitert angesehen wird.

Ich stimme dir aber auch zu: man braucht als Leiterin/Leiter eine gewisse innere Freiheit, dass das schiefgehen kann und dann ist das so.

CK: Genau, aber dafür braucht es dann auch die konsequente Rückendeckung der Verantwortlichen.

SL: Das ist wahr. Es muss erst einmal in den Prozess investiert werden. So investiert der CVJM Deutschland z. B. in zwei STT-Wochenenden und ein Treffen Ehemaliger und das kostet was. Geld für die Durchführung, aber auch Arbeitszeit von unserem Team. Das ist erstmal ein Invest in der Hoffnung, junge Menschen zu binden, zu motivieren und zu schulen. Denn eigentlich ist es ja nichts anderes als Projektmanagement, was da gelernt wird. Sie lernen ein Projekt durchzuführen und wenn es scheitert, gehört das und der Umgang damit auch zum Projektmanagement dazu.

CK: Silke, was ist deine Ermutigung für CVJM-Ortsvereine, wenn sie junge Menschen beteiligen wollen?

SL: Was ich jedem CVJM gönne, ist diese motivierende Kraft, wenn junge Menschen ihre eigenen Grenzen überwinden, sie sich also etwas zutrauen - und dafür geben wir als Vorstand / Leitung den angemessenen Rahmen – und wenn sie dann gemeinsam etwas erreicht haben. Das ist doch bei jeder Freizeit motivierend, wenn ich als Team eine gute Zeit für meine Kids oder Teens ermöglichen konnte. Und da entwickeln es die Mitarbeitendenteams ja meistens auch zusammen.

Und diese Motivation zu nutzen und dieses zusammen Entwickeln und Ausprobieren mit den jungen Menschen, die dazu motiviert sind, weitertreiben und das mit ihren Themen und Projektideen. Das wünsche ich jedem CVJM.

CK: Mein Wunsch wäre, dass es ganz bewusst nicht nur den Blick auf das Ergebnis eines Entwicklungsprojektes unter Beteiligung junger Menschen gibt. Wichtig ist, schon den Entwicklungsprozess als Weg als einen wertvollen Prozess zu sehen, in dem es sich absolut lohnt, Zeit, Geld und Kraft zu investieren. Immer natürlich in einem klar abgesteckten Rahmen. Aber das gilt dann auch.

Alleine das ist schon positiv und nachhaltig prägend für die Persönlichkeitsentwicklung dieser jungen Menschen und übrigens für die Entwicklung des Vereins selber. Junge Menschen erleben eine Selbstwirksamkeit in dieser Struktur des CVJM-Ortsvereins und das ist wiederum nachhaltig für deren Zukunftsfähigkeit.

Beteiligung junger Menschen ist dann nicht nur eine Methode, sondern eine Kultur.

SL: Und zur Kultur wird es, wenn es sich aus sich selbst heraus reproduziert. Also, wenn die jungen Menschen es selbst so verinnerlicht haben: es muss weitergehen, indem ich andere wieder fördere oder meine Erfahrung weitergebe oder weitervermittle. Und ich dann auch auf meinen "Posten" verzichte.

Das ist ein längerer Prozess und dauert seine Zeit.

In der Rückkehrenden-Arbeit ist es so, dass immer wieder neue Ehemalige dazukommen und Erfahrene die verschiedenen Entwicklungsstufen weitergeben, und trotzdem ist es immer noch relativ abhängig von mir als zuständiger Referentin. Es müsste so sein, dass es aus den jungen Leuten selbst herauskommt. Bei uns nimmt es jetzt zu, dass die jungen Leute sagen, wir haben hier einen Raum, den können wir gestalten, und damit das nachhaltig weitergeht, müssen wir auch neue Leute immer wieder mit reinnehmen und denen erklären, wie man das macht. Das kommt aber erst jetzt, nach sieben Jahren. Also ein langer Weg.

CK: Liebe Silke, ich danke dir für dieses spannende Gespräch.

SL: Auch dir, Carsten, vielen Dank und ich bin gespannt, was wir uns in 1-2 Jahren erzählen.