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15. Januar 2005

Bildungsverständnis und Bildungsauftrag des CVJM

Die vielfältige CVJM-Arbeit, die auf der Grundlage der Pariser Basis des Weltbundes der CVJM geschieht, ist ein Beitrag zur Bildung der Menschen im CVJM. Im Folgenden werden das Bildungsverständnis und der Bildungsauftrag des CVJM beschrieben, um den inneren Zusammenhang der CVJM-Arbeit unter dem Gesichtspunkt der Bildung deutlich zu machen und den Dienst des CVJM in der heutigen Gesellschaft zu profilieren.

I. Das Bildungsverständnis des CVJM

Gott hat die Menschen als Mann und Frau zu seinem Ebenbild geschaffen. Als sein Gegenüber sind sie berufen, ihr Leben und die Welt in Verantwortung vor Gott zu "bauen und zu bewahren" (1.Mose 2,15).

Bildung ist der Prozess, durch den Menschen fähig werden, das Leben und die Welt zu verstehen und zu gestalten. Bildung vollzieht sich in den Beziehungen des Menschen zu Gott, zu sich selbst, zu anderen Menschen und zur Welt. Diese Beziehungen können wohl unterschieden, dürfen aber nicht voneinander getrennt werden.

Bildung ist Motor der persönlichen Entwicklung. Sie ist daher als Selbstbildung zu begreifen und fängt dort an, wo es darum geht, die Beziehung zu sich selbst zu finden und zu entwickeln. Dessen muss sich jeder Mensch bewusst werden. Bildung ereignet sich nicht automatisch, lässt sich weder delegieren noch vom Ende her denken. Sie ist ein lebenslanger Prozess.

Die Bildung der Persönlichkeit ist u. a. daran zu messen, inwiefern die Beziehung zu sich selbst Lebensbejahung und Lebensbereicherung ausstrahlt. Dazu muss die Beziehung zu sich selbst immer wieder neu in Einklang gebracht werden mit den anderen drei Beziehungen des hier dargelegten Bildungsverständnisses.

Bildung ist "als Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertbewusstsein, Haltungen (Einstellungen) und Handlungsfähigkeit im Horizont sinnstiftender Deutungen des Lebens" zu verstehen. Der Erwerb von Anwendungswissen und Orientierungswissen ist gleichermaßen nötig.

Die Weitergabe des Evangeliums von Jesus Christus vor allem an junge Menschen wird im CVJM als Grundelement von Bildung praktiziert. Menschen finden dadurch zur Gemeinschaft mit Gott als dem sinnstiftenden Zusammenhang für ihr Leben. Dadurch eröffnen sich ihnen Bildungsmöglichkeiten, wie die folgenden:

  • Sie lernen die Gemeinschaft mit Gott als Einzelne und in der Gemeinschaft mit anderen Christen zu gestalten. Dies geschieht durch Beten, Bibellesen, Gottesdienst feiern, Einüben des Vertrauens auf Gott, Verstehen und Umsetzen der Gebote Gottes.
  • Sie begreifen sich selbst nach Leib, Seele und Geist als ein Geschenk Gottes.  Sie wissen sich geliebt und wertvoll - unabhängig von Geschlecht, Alter, Leistung und Besitz. In Freude und Dankbarkeit genießen sie ihr Leben und werden bereit, sich für andere Menschen einzusetzen.
  • Sie lernen ihre körperlichen, geistigen und seelischen Fähigkeiten zu entdecken, Kreativität zu entwickeln, Fertigkeiten zu trainieren und Spannungen auszuhalten. Das geschieht z. B. im Sport, in musischen Aktivitäten, in beruflicher und politischer Bildung, in ehrenamtlicher und hauptamtlicher Mitarbeit.
  • Jeder Mensch hat als Geschöpf Gottes seine unantastbare Würde. Zugleich ist jeder Mensch auf Gemeinschaft angewiesen und für das Leben in Gemeinschaft mit anderen verantwortlich. Menschen leben als Frauen und Männer in der Gleichwertigkeit vor Gott. Ethnische, kulturelle, religiöse, soziale Unterschiede werden als Bereicherung und als spannungsvolle Herausforderung erlebt. Kennen lernen der Anderen schafft respektvolle Verbundenheit und überwindet feindselige Ausgrenzung des Fremden.
  • Die Wahrnehmung sozialer, politischer und ökologischer Verantwortung soll dem Alter und den Fähigkeiten der Einzelnen entsprechend geschehen. Mitwirkung wird gefördert und gefordert.

Um solche Bildung zu ermöglichen und zu realisieren, sind vielfältige Angebote und Anregungen durch Familie, öffentliche und freie Bildungsträger, zu denen auch der CVJM gehört, nötig.

II. Der Bildungsauftrag des CVJM

1. Die Beziehung zu Gott anbieten und entfalten

Der CVJM will vor allem jungen Menschen das Angebot vermitteln, sich auf eine Lebensbeziehung mit dem Schöpfer einzulassen. Erkennt ein Mensch sich als Geschöpf Gottes, gewinnt er eine Orientierung, die sich auf alle Lebensbereiche bestimmend auswirkt. Dies ist kein einmaliger Vorgang, sondern ein lebenslanger Lernprozess, in dem das Evangelium Maßstab aller Entscheidungen wird.

Die Vermittlung der Einladung zu Jesus Christus, die auch als "Jugendevangelisation" bezeichnet wird, ist Querschnittsaufgabe aller CVJM-Arbeit und kann in vielfältigen und wechselnden Formen geschehen.

Im CVJM sollen junge Menschen auf der Grundlage der Bibel eine Perspektive für die verantwortliche Gestaltung des eigenen Lebens im Zusammenhang der Welt gewinnen.

Der CVJM möchte junge Christen befähigen, den christlichen Glauben verstehbar, gewinnend und ihrer Kultur entsprechend weiter zu geben. Das geschieht durch persönliche Begleitung, durch Aus-, Fort- und Weiterbildung von ehrenamtlich und hauptamtlich Mitarbeitenden sowie durch Bereitstellung entsprechender Publikationen und Medien.

Der CVJM will die Fähigkeit fördern, sich einzelnen Menschen persönlich zuzuwenden und sich auf ihre Fragen und Probleme einzulassen. In Gruppen, auf Freizeiten, in Beratung und Seelsorge werden dann besonders junge Menschen Annahme, Verständnis, Wertschätzung und Hilfe erleben.

2. Die Beziehung zu sich selbst finden und entwickeln

Die Beziehung des Menschen zu sich selbst ist auf das Gelingen des eigenen Lebens ausgerichtet. Im CVJM sollen junge Menschen die "Lebenskunst" lernen, die darin besteht, das eigene Leben als Geschenk Gottes zu verstehen, sich selbst anzunehmen und zu bejahen, die eigenen Begabungen zu entdecken und zu entwickeln, Grenzen als Herausforderungen zu erkennen, die entweder durch Überwindung oder durch Akzeptanz produktiv bewältigt werden können.

Jede und jeder kann die besonderen Angebote im CVJM wahrnehmen und sich mit eigenen Beiträgen in die Gemeinschaft mit anderen einbringen. Durch die Teilhabe an der CVJM-Arbeit lernen junge Menschen ihr Handeln zu reflektieren, sie gewinnen Werte und entwickeln Haltungen.

Bildung im CVJM soll ganzheitlich geschehen. Sie soll das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen in gleicher Weise ansprechen und vielfältige Anlässe bieten für ein integrierendes Lernen mit Kopf, Herz und Hand und mit dem Ziel, den einzelnen Menschen in seiner Identität zu stärken.

Im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung kommt im CVJM der informellen Bildung hohe Bedeutung zu. Junge Menschen lernen miteinander sowie mit Älteren und Jüngeren zu reden, sie werden zum Lesen angeregt und nutzen die vielfältigen Medien zur Wahrnehmung und Gestaltung der Welt, sie feiern Feste und Gottesdienste, sie suchen die Stille im persönlichen und gemeinsamen Gebet, sie entfalten ihre kreativen Fähigkeiten.

3. Die Beziehung zu Menschen eingehen und gestalten

Im CVJM treffen sich Kinder, Jugendliche, junge und ältere Erwachsene. Als Mädchen und Jungen, als Frauen und Männer bieten sich ihnen Möglichkeiten der Begegnung und Auseinandersetzung mit Menschen unterschiedlicher sozialer, ethnischer, kultureller und religiöser Hintergründe. Sie können ihre Dialogfähigkeit stärken, Überzeugungen gewinnen und diese vertreten. Dabei spielen internationale Kontakte und Austausch in der weltweiten Bewegung des CVJM eine unterstützende Rolle.

Die unterschiedlichsten Menschen begegnen sich im CVJM in der Verbundenheit der weltweiten Christenheit. Gegenüber allen Menschen können sie lernen, die Haltung einzunehmen, dass jeder Mensch durch Gott seine eigene Würde und seinen eigenen Wert hat. Diese Haltung der Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt soll Grundlage des Miteinanders von Menschen im CVJM sein.

In Gruppen und offenen Angeboten, bei Freizeiten und Bildungsangeboten, bei Projekten und in Gremien, beim Feiern und gemeinsamen Arbeiten gehen Menschen im CVJM Beziehungen ein und sind herausgefordert, diese zu gestalten. Damit bietet der CVJM ein weites Feld für soziale Bildungsprozesse und zu sozialem Lernen.

Im CVJM können junge Menschen lernen, mit Gleichaltrigen und Gleichberechtigten eigenverantwortlich initiativ zu werden, gemeinsame Ideen umzusetzen, für andere etwas zu tun - auch im Eintreten für weltweite Gerechtigkeit. Das Engagement im CVJM lebt von Freiwilligkeit, Partizipation, Mitbestimmung und Selbstorganisation.

Bei ihrem gemeinsamen Engagement machen Kinder und Jugendliche Bildungserfahrungen. Hier handelt es sich vor allem um Gruppenprozesse, in denen Normen und Strategien des Zusammenlebens ausprobiert, Konkurrenz und Streit, Solidarität und Kooperation, Integration und Ausgrenzung erfahren werden. Junge Menschen lernen zu kommunizieren und zu kooperieren, sich auf Regeln und Entscheidungswege zu verständigen sowie entstehende Konflikte auszutragen. Sie entwickeln ein Gespür für andere, machen Erfahrungen im Umgang mit Schuld und Vergebung, schließen Freundschaften und lernen ihre Position in einem Team oder einer Gruppe zu finden. Dadurch können im CVJM die entsprechenden Schlüsselqualifikationen erworben werden.

Neben dem Zusammenwirken von Gleichaltrigen spielen Beziehungen zu Erwachsenen im CVJM eine wichtige Rolle. Erwachsene im CVJM sind Partner und herausforderndes Gegenüber von jungen Menschen, die ihnen mit einem Vorsprung an Lebenserfahrung aus der Perspektive eines anderen Lebensalters auf gleicher Augenhöhe begegnen. Jugendliche leben mit ihnen in Beziehung als Förderer und authentische Anschauungsmodelle für den Umgang mit Leben und Glauben. Sie bieten auch das notwendige Gegenüber, an dem sich Jugendliche reiben können. Das wertschätzende und kritische Miteinander der Generationen ermöglicht im CVJM die wichtige Erfahrung von Beziehung und Differenz, die Selbstverständlichkeiten in Frage stellt und so Bildungsprozesse anregt.

4. Die Beziehung zur Welt verstehen und verantworten

Der Mensch ist Geschöpf Gottes und damit Teil der Schöpfung. Er hat von Gott aber auch den Auftrag bekommen, die Schöpfung zu bebauen und zu bewahren (1. Mose 2,15). Damit ist er von Gott als Haushalter über die Welt eingesetzt. Voraussetzung für die Erfüllung dieses Auftrags ist, dass der Mensch durch Lern- und Bildungsprozesse sich die Welt aneignet, ihre Zusammenhänge verstehen lernt und zu verantwortungsvollem Handeln befähigt wird. Durch nicht-formelle, informelle und formelle Lernprozesse wollen wir im CVJM gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Akteuren einen Beitrag dazu leisten.

Im CVJM können besonders junge Menschen lernen, sich an der Gestaltung ihrer Welt - dazu gehören die Natur, die Gesellschaft und das politische System, insbesondere das örtliche Gemeinwesen, das Schulwesen, die Berufswelt und der Bereich der Freizeit - aktiv zu beteiligen.

Auf der Ebene des formellen Lernens werden in der Schulausbildung ebenso wie in der Berufsausbildung z. B. im Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands und in den Kindergärten, Schulen und Berufsausbildungszentren im deutschen und internationalen CVJM Kenntnisse und Fertigkeiten an junge Menschen vermittelt. Durch die Praxisorientierung der Ausbildung vervollkommnen sich Wissen und Fertigkeiten zu Können. Junge Menschen sollen ihre Berufstätigkeit als sinnvolle Beschäftigung erfahren, die nicht nur ihrem Lebenserwerb dient, sondern auch persönliche Erfüllung bringt und einen Beitrag zur Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft leistet. Dem Gelingen des Übergangs von Schule zum Beruf kommt in diesem Prozess besondere Bedeutung zu. Gerade für benachteiligte Kinder und Jugendliche erhöhen sich durch dieses Angebot die Chancen, sich in die Arbeitswelt einbringen zu können.

Die vielfältigen Programme des CVJM eröffnen Kindern und Jugendlichen ein Feld zur Einübung von aktiver, demokratischer Mitwirkung und Mitbestimmung auf altersgemäße Weise. In den Programmangeboten und durch konkrete Mitarbeit lernen junge Menschen, dass das Evangelium Christi ihnen persönlich gilt und sie zugleich ermutigt und herausfordert, sich als Christen für diese Welt einzusetzen. Das bedeutet, dass sie Mitverantwortung übernehmen für die Bewahrung der Schöpfung, für die Gestaltung einer menschlichen, von christlicher Nächstenliebe geprägten Gesellschaft und für die Entfaltung von hoffnungsvollen Lebensperspektiven besonders auch für benachteiligte Menschen.

In sozialen Projekten wenden sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Benachteiligten zu und leisten einen Beitrag zur Überwindung von Grenzen und zur Verbesserung von Lebenschancen, z. B. Integration ausländischer Kinder und Jugendlicher, Schularbeitenhilfe für lernschwache Schülerinnen und Schüler, Computerschulung zur Überwindung der "digitalen Kluft" usw.

Junge Menschen werden im CVJM befähigt, sich als Einzelne und als Gemeinschaft jugendpolitisch vorrangig in der örtlichen Kommune, aber auch auf anderen politischen Ebenen zu engagieren und sich für die Anliegen junger Menschen einzusetzen. So geschieht aktive Mitwirkung im demokratischen Gemeinwesen.

Beschlossen vom Hauptausschuss des CVJM-Gesamtverbandes am 15. Januar 2005